Der Wortbruchstellenverursacher

EIN BLOGROMAN VON W. REMUS UND GUIDO ROHM

Die Auswanderer

Remus, auch seine Erfindung Rohm, haben sich aus dem Staub gemacht, sind sie doch dem Ruf gefolgt, der sie, bepackt wie Esel, aus einem Land namens Pathologien ereilte. Drum sollten sie sich ihnen anschließen, wollen sie dem Romangeschehen auch weiterhin folgen. Hier müssen sie entlang, denn dann kommen Sie gewiss auch an.

Im Kopftheater

Als wäre die Bühne ein Fluss. Ideen treiben vorüber. Kleidungsstücke. Gesichter, an die man sich zu erinnern meint. Eine Geste, die man so ähnlich selbst schon einmal missbrauchte.

Remus hätte sich nie darauf einlassen sollen, und doch sitzt er nun hier. Sie spielen Szenen aus seinem Leben. Das ist ärgerlich. Peinlich. Er sieht sich im Saal um. Ein Traum, es muss ein Traum sein, denn da sitzt nur er. Er sieht sich lachen, Beifall spenden, den Kopf schütteln. Mal nickt er ein, dann wieder kann er den Blick vom eigenen Bühnenleben nicht abwenden. Die Schauspieler geben sich Mühe. Auftritt seines Vaters. Der Tod des Vaters. Das bewegt Remus, denn den erlebte er nicht. Er sieht genau hin. Wer hat schon Gelegenheit, einem Stück über das eigene Leben und Sterben beizuwohnen.

Er hängt sich auf. Tritt mit einem Strick an einen Balken. Das würde er nie tun. Das ist nicht seine Methode. Ein Schwachkopf muss dieses Stück geschrieben haben. Es dauert nicht lange, da baumelt er zum Entzücken des Publikums von der Decke. Remus möchte buhen, möchte gehen. Er möchte vor allem erwachen. Dieses Stück ist eine Lüge. Der Vorhang senkt sich. Eine Pausenklingel ertönt. Remus unterhält sich mit Remus, nur der wahre Remus bleibt stumm sitzen. Nach wenigen Minuten wird zur nächsten Aufführung gerufen. Wieder spielt man sein Leben. Man schickt ihn in die Schule, man sieht ihn stumm in seiner Wohnung sitzen. Später dann sieht man ihn im Anstaltsbett, fantasierend von Geschöpfen, die er Rohm und Wölfin nennt. Nicht lange, dann steht er vor einem Balken. Nicht schon wieder, will er schreien. Er schweigt und beginnt das Unabwendbare zu genießen. Nichts bleibt ihm, als dem Stück der eigenen Tragödie ein wenig Genuss abzugewinnen. Er wird warten. Abwarten. Dieser Traum muss enden. Irgendwann.

Der Doktor und die kranken Bücher

Der Doktor erinnert an … Lassen wir das.  Er hat breite Backen, die das Gesicht dehnen. Eine Visage kurz vorm Platzen. Brille. Die müssen die Doktoren tragen, selbst wenn gar kein Augenfehler vorliegt. Viele begeben sich unter das Skalpell. Lassen sich die Netzhaut ablösen. Man hat schon von Säure gehört, mit denen manchen das Augenlicht genommen wurde. Ein blinder Doktor ist der König unter ihnen. Ihr Berufsstand läuft mit Königen über.

Remus lässt ihn rein. Er bückt sich demütig. Wehe, wenn man den Doktor verärgert.

„Hier entlang“, sagt Remus.

Der Doktor bedankt sich mit einem THANKS. Remus ist nervös, weil der Doktor noch nicht einmal die Lippen benutzte. Man hat nichts gesehen und trotzdem war das Wort plötzlich da.

Remus führt ihn zu den Büchern.

„Ah!“ ruft der Doktor. „Da sind ja meine Patienten.“

Wo er denn operieren könne?, fragt der Doktor. Dort? Dort? Nein, lieber auf dem Esstisch.

„Well, well, das machen wir“, sagt er und greift nach einer Ausgabe von Blut ist ein Fluss. Kurz vor dem Buchrücken zuckt er zurück.

„No, no, no“, knurrt er.

Der Doktor greift in die Tasche seiner Kittelschürze und zieht ein Paar Gummihandschuhe hervor. Er zieht sie wie ein Band auseinander. Lässt das eine Ende los. Ein schnalzendes Geräusch ertönt, gefolgt von einem „AHHHHH“ des Doktors. Er streift sich die Handschuhe über. Langsam, als würde er eine Bombe entschärfen, zieht er das Buch aus dem Regal. Er sieht es sich an. Angewidert. Als müsse er jeden Augenblick kotzen. (Übergeben können wir hier nicht schreiben, denn dies würde der Situation nicht gerecht werden.)

„Trash“, stöhnt der Doktor und trägt das Buch zum Operationstisch. Er legt es ab, sieht sich um, hebt den Finger und verschwindet mit dem Oberkörper unter dem Tisch. Er wühlt herum, vielleicht in seiner Tasche, auch wenn Remus sich nicht erinnern kann, dass er eine mitgebracht hat.

Da ist der Doktor ja wieder. Dauergrinsend und mit einer Schere, die er SCHNIPPschnapp im Buch versenkt. Er trennt einzelne Wörter heraus.

„Krebsgeschwüre“, röchelt der Doktor und schneidet konzentriert weiter.

Wort auf Wort fällt aus dem Roman, bis kaum noch ein Wort drin ist.

„Ein paar Kommas und ein paar UND, die können bleiben. Bringen Sie den Patienten bitte auf die Intensivstation.“

Remus sieht sich verwirrt um. Der Doktor verdreht die Augen und führt ihn zum Fenster.

„Näher“, flüstert er. „Kommen Sie näher.“

Der Doktor zeigt zu den Mülltonnen hin und sagt: „Intensivstationen.“

Remus ist am Ende. Er zittert. Er will das nicht tun. Der Doktor zieht bereits den nächsten Patienten aus dem Regal. Wieder ein Krimi. Nicht von ihm. Der Doktor beißt die Zähne zusammen und sagt: „Ein Fall im Endstadium.“

Remus sieht nicht hin. Er will nicht wissen, wen der Doktor nun zu Tode operieren wird.

„Von einem Fantasiegeschwür befallen.“

Der Doktor holt mit der Schere aus und amputiert den Patienten.

„Der Wundbrand breitet sich sonst aus“, erklärt er Remus. “ Nachher wird er Phantomschmerzen haben. Wird denken, er hätte noch einen Helden und eine Geschichte. Wenn ihm klar wird, dass da nichts mehr ist, müssen Sie sich um ihn kümmern. Verbände wechseln, gute Worte, später können Sie ihn dann auf die Intensivstation bringen. – So, jetzt aber weiter im Programm.“

Der Doktor hebt den Kopf und wendet sich seinen anderen Patienten zu. Die Buchrücken starren ihn an. Sie zittern nicht. Sie wissen von ihrem Schicksal. Niemand kann dem Doktor entkommen. Niemand.

„Hier fehlt ein Buch!“, schreit der Doktor plötzlich auf.

Das kann nicht sein. Remus lässt durchzählen. Tatsächlich. Ein kleiner unscheinbarer Kurzgeschichtenband fehlt. Remus lässt sich die Freude nicht anmerken. Er hofft, der Kleine wird es schaffen.

Der Doktor spuckt aus. „Den werden wir schon noch bekommen“, knurrt er und mach sich dann wieder an seine Arbeit.

Little Bighorn

Minusgrade. Vor dem Haus ein LKW. Zieht da jemand aus? Ein? Der Kopf schmerzt. Nicht so sehr, wie er schmerzen könnte. Also holt Remus mit dem Hammer aus und verpasst sich einen Schlag. Die Schmerzwelle rollt zwar langsam an, schwappt dann aber tosend über das gesamte neuronale Netz. Geht doch. Man muss nur den Willen zur Selbstzerstörung haben. Immer ran an die Buletten. Kaffee hat er auch noch keinen getrunken, sich dafür aber mit R. Scott unterhalten. Ehemaliger Westerndarsteller, der jetzt in der Wohnung unter ihm haust. Reitet den ganze Tag mit einem imaginären Pferd vom Wohnzimmer in die Küche und wieder zurück. Fängt Rinder und Milben ein. Manchmal auch eine Katze, die sich auf den falschen Balkon gewagt hat. Seinen Balkon! Später kann man Scott dann singen hören. Er steht in der Küche und brutzelt sich einen Katzenburger. Unter den Katzen hat sich das natürlich rumgesprochen. Nur nicht auf den Balkon dort. Da wohnt einer, der uns mit nem Lasso einfängt. Scott hasst Indianer. Die hätten seine Frau umgebracht. Das erzählte er Remus. Kaute Tabak. Spuckte den Saft einfach so ins Treppenhaus. Er müsste nachher noch zunem Duell. Aha! Remus schwieg. Wollte doch nur kurz zum Bäcker. Brötchen und eine Zeitung. Aber Scott ließ ihn nicht weiter gehen. Höma, sagte er. Ich hab da drin ne Mieze, die sich nicht umbringen lässt. Die scheint wirklich mehrere Leben zu haben. Remus zuckte mit den Schultern. Nix für ungut, aber ich müsste dann mal … Indianerfreund, schrie Scott. Dann war Remus draußen. Wischte sich den Schweiß von der Stirn und tastete nach seinem Revolver. (Remus geht nie ohne Revolver aus dem Haus. Das wäre ja noch schöner. Remus ist kein Pazifist. Im Gegenteil. Er fährt immer wieder raus. Schießt bei HOGGs auf Hasen und anderes Getier, das von HOGG zuvor an einen Baum gebunden wurde, damit man sein Ziel auch nicht aus den Augen verliert.)

Jetzt ist Remus zurück. Er greift nach seinem Kaffee. Unten kann man Scott hören, der sich in einem Streitgespräch mit Custer befindet. Remus verpasst sich einen weiteren Schlag mit dem Hammer und konzentriert sich dann (trotz beginnender Schlacht am Little Bighorn) auf seine Morgenzeitung.

Was dieser Rohm alles so treibt

Die Kälte kriecht in die Wohnung. Sie legt sich auf seine Haut. Auf die Augen. Die sind am frühen Morgen eh verklebt. Remus versucht sich zu erinnern, was er in seinem Blogroman verzapft hat. Er klemmt sich Streichhölzer unter die Lider. Jetzt bleiben sie oben. Der Laden hat geöffnet. Seine Finger gleiten über den Bildschirm. Aha. Rohm bekommt einen Säbelzahntiger geschenkt, er hat bei Buchkultur eine Besprechung erhalten. Da kann sich Remus natürlich ein Grinsen nicht verkneifen. Immerhin läuft seine Erfindung wie geschmiert. Er hat zwar Ärger mit diesem Literaturdarsteller, aber das wird sich schon wieder geben. Drauf einen Schluck Kaffee. Ärger ist zum Runterspülen da, und wenn Kaffee nicht hilft, dann muss es eben auch mal eine Flasche Wein sein. Draußen ist ein Heulen zu hören. Könnte die Wölfin sein. Und der Buchmacher? Immer noch keine Rückmeldung. Was Rohm wohl jetzt gerade macht? Was treibt eine Fiktion in den frühen Morgenstunden? Remus blickt sich verstohlen um, dann erhebt er sich von seinem Schreibtischstuhl. Fiktionen sind in Büchern zu finden. In Filmen. In Bildern. In der Politik. Rohm, ruft er so leise wie möglich. Niemand soll das hören. Die halten ihn am Ende für einen Spinner. Wo treibt sich das Ungeheuer nur rum? Remus will schon aufgeben, da sieht er ihn aus einem Buch spazieren. Etwas von de Sade. Schäm dich! Aber nicht doch, wiegelt Rohm ab. Die Jungs sind ganz meine Kragenweite. Rohm greift nach einem Stühlchen und setzt sich vor die Bücherwand. Und wie soll das jetzt weitergehen? Der ganze Blogroman ist verdreht, keine Handlung, kein Personal, du schreibst wie es dir in den Sinn kommt. Morgen erscheint etwas in einer Zeitung über dich. Rohm setzt sich aufrecht hin. Er hört aufmerksam zu. Und was habe ich denen erzählt, fragt er. Das weiß ich doch nicht, entgegnet Remus. Ich habe Dogge zu ihnen geschickt, der spielt in meinem Roman den Witold Reimann, einen arbeitslosen Schauspieler, der wiederum den Autor Guido Rohm spielt. Fuck, ich bin in die Hände eines Irren geraten, flüstert Rohm. Er sieht sich um. Nur weg hier. Er könnte in einer Ausgabe von Mein Leben als Föhn verschwinden oder lieber gleich in den Gesammelten Werken von Loblitz. Apropos Loblitz. Der hatte sich ja damals, wer kann sich nicht erinnern, mit diesem Kritiker angelegt. Reichenbach, ja so hieß der. Die haben sich doch sogar irgendwann in einer Fernsehsendung geprügelt. Das muss er sich für später aufheben. Er wird sich jetzt aus dem Staub machen, also rein in die Tagebücher von Thomas Mann. Böser Fehler, denn als der ihn erblickt, schlägt er ihn wie eine Fliege tot. Katja, kann der tote Rohm noch hören, eher er sich in einem anderen Text-Körper beamt, könntest du bitte, aber rasch, schreibe ich doch gerade an dieser kleinen Novelle, die sich eh wieder zu einem Roman ausweiten wird. Katja eilt, während Rohm sich umblickt. Er ist in einer Weltraumbar gelandet. Söldner aus dem gesamten Universum stehen am Tresen. Warum nicht, denkt er und schlägt einem Wakorianer fest auf eine seiner siebzehn Schultern. Die nächste Runde geht auf mich, Jungs!

Die Kälte

Man sperrt sie aus, schlägt ihr die Tür vor der blauen Nase zu. Man verhöhnt sie mit der Wärme, die Pelze und Mützen spenden. Man beobachtet sie, besonders ihre Launen, denn fällt sie plötzlich in einen messbaren Minusbereich, weil auch sie einmal einen schlechten Tag hat, dann zerstören die Menschen ihre Kunstwerke aus gefrorenem Wasser. Mal mit Salz. Mal mit Schaufeln. Sie kann die Sonne nicht ausstehen, dafür mag sie Eskimos. Sie mag Iglus. Die Kühltruhen liebt sie des dort aufbewahrten Erdbeereises wegen.  Man stellt sie her, einzig um sie als Gefangene in Kühlräume zu sperren. Dort sitzt sie dann, denkt über Rinderhälften und den Sinn von Reibung nach. Reibung würde Wärme erzeugen. Sie reibt sich nie, aber sie reitet auf dem Wind. Sie versteckt sich in Eiskristallen. Man unterstellt ihr Verbrechen, für die sie nichts kann. Sie würde in den Herzen von Mördern wohnen, auch in den Körpern frigider Frauen. Sie würde sich gerne einmal den Rücken an der Sonne kratzen. Sich mit den Strahlen Speisereste aus den Zähnen puhlen. Das alles tut sie nicht. Sie liegt am Nordpol rum. In Sibirien setzte man sie lange Jahre als Wärterin ein. Sie trennte Fingerkuppen ab. Saß in den Gedanken ihrer Auftraggeber. Stalin höchstpersönlich lud sie vor.

In diesen Tagen, alt geworden von der langen Reise, irrt sie umher. Nichts kann sie trösten, sie spürt den Tod, die zunehmende Erwärmung.

Matt sitzt sie auf einer Bank vor einem Altenheim. Sie hockt im Gesicht einer Frau. Sie weiß, dass sie hier nicht bleiben kann.

Eine Stimme beugt sich über das Gesicht. Ganz kalt, spricht die Stimme.

Ein letztes Mal lächelt sie. Dann trägt man sie fort.

Remus schüttelt sich. Schon seltsam, was man alles so denkt, während man auf den Bus wartet.

Eine Theorie, die zum Himmel stinkt

Remus hat beschlossen, sich fortan nicht mehr zu waschen. Stinken will er. Die Leute sollen wissen, selbst wenn sie ihn noch nicht sehen, dass er jeden Augenblick um die Ecke kommen wird.

Riecht sich so an, als wäre das Remus, sollen sie sagen. Zufrieden über die Arbeit ihrer Riechkolben werden sie ihm dann ausweichen, weil sein Geruch für jeden Normalsterblichen kaum auszuhalten sein wird.

Und dann, obwohl schon Stunden vergangen sein werden, wird einer, der sich der Gruppe erst später anschließen wird, wissend ausrufen: Remus ist hier wohl entlang gegangen!

So stellt Remus sich das vor.

Die Welt ist dem Seifenwahnsinn verfallen, von dem er sich kurieren wird. Nicht mehr duschen. Keine Zähne putzen. Wasser soll fortan sein Feind sein. Garstig will er vor jedem Waschbecken ausspucken. Er könnte Terroranschläge planen, die sich um die Abschaffung von Schwimmbädern mühen.

Seine Terrorzelle müsste natürlich einen Namen haben. Keinen sauberen Namen, sondern einen stinkenden, vor Dreck triefenden Namen.

Die Verschlammten.

Gruppe Unrat.

Aktion Mief.

Das gefällt ihm alles noch nicht. Der richtige Name wird noch kommen. Man muss nur auf der Hut sein, wenn er plötzlich vor einem steht. Zugreifen. Ausraufen: Mir!

In seinen Visionen erblickt er eine ungewaschene Gesellschaft, die sich durch einen Nebel aus schlechten Gerüchen bewegt. Ein grünlicher Schleier ist es, durch den sein zukünftiger Körper sich schiebt.

Und dann die Zeit erst, die man dadurch einsparen wird. Massen an Zeit, die sich bis zum Himmel stapeln lassen wird. Man wird einen derartigen Überschuss an Zeit erzeugen, dass es zu einer Zeitinflation kommt. Die Zeit wird entwertet. Wenn einer sagen wird, ich hab Zeit für dich, wird ein anderer ausrufen, will ich nicht, denn davon hab ich selbst genug. Man wird die Zeit in Feuern verbrennen, weil man gar nicht mehr weiß, wo man sie noch hinschaffen soll. Und alles nur, denkt Remus mit einem zufriedenen Grinsen, weil ich hier und heute beschlossen habe, mich nicht mehr zu waschen. Seine Theorie stinkt zum Himmel. Ja, das tut sie.

Die Sünde des Haarwuchses

Der Kopf ist leer. Remus präsentiert das hautüberzogene Gefäß, dieses Ding mit Wucherungen an den Seiten. Ohren, erklärt Remus dem erstaunten Besucher, der sich als Leser dieses Textes vorstellt. Der Besucher würde die Ohren gerne berühren, aber das verweigert Remus, nur am Hauthäng darf er mal anfassen. Kurz und sanft. Genug der unsittlichen Berührung. Remus will zum Ausgangspunkt zurück. Das ist schwer bis unmöglich, verweigert seine Mutter doch seit Jahren die Rückkehr in den Bauch. Remus bereitet das Bauchschmerzen. Wo anders sollte sich diese Sorge bemerkbar machen. Remus präsentiert dem Besucher seine Nase. Die könne man gut in die Angelegenheiten anderer Leute stecken. Prima Gerät also, grunzt Remus. Die Augen seien für den Blick, also für den Moment, der beständig fliehe. Eine Gegenwart gibt es nicht. Remus hebt den Finger. Jetzt Achtung! Keine Gegenwart, wohl aber den beständigen Auspuffgestank der Gegenwart. Die Gegenwart werde überschätzt. Sie verpeste die Städte. Die Gegenwart müsse verboten werden. Texte im Präsens eh! Das auf dem Kopf wären Ablagerungen übler Gedanken. Haare seien des Satans. Weil er praktizierender Satanist sei, gebe er sich der Sünde des Haarwuchses hin. Leute mit langen Haaren, flüstert Remus, müsse man als boshafte Teufel betrachten, die sich nur beim Friseur von aller Schuld reinschneiden lassen könnten. Zurück zum Kopf. Der ist  leer. Remus schickt den Besucher auf die Suche nach einem anderen Besucher, denn hier gäbe es heute nichts mehr zu finden.

Comic

Rein. Tiefer. Bitte in diesen Raum. Die Gedärme, die von der Decke hängen, haben wir extra für Sie anbringen lassen. Der Zeitungsmann lächelt. Auf der Zunge könnte sich die Schmiere von dunkler Schokolade befinden. Oder ist das Druckerschmiere? Die Stühle! Er verweist auf die Stühle, die alle mit frischem Blut übergossen wurden, denn wenn man schon einmal den Autor des Romans Blutschneise begrüßen dürfe, dann solle er sich auch wohl fühlen. Aus Lautsprechern hört man das Keuchen sterbender Folteropfer. Rohm schreitet über zwei Leichen. Erst dann setzt er sich. Der Zeitungsmann blättert sein Gesicht nicht um. Rohm starrt sich diese eine Seite an. Keine Schlagzeilen. Kleine Meldungen über Unglücke am Morgen. Ein abgerutschter Rasierer. Wind klatscht die Hände an die Scheiben. Man sieht nicht hin, man spricht über den Roman. Viele Tote. Die kommen in der Zeitung vor. Der Zeitungsmann biegt den Kopf nach hinten. Er scheint sich der Gymnastik seines Gewerbes hinzugeben. Rohm verweigert solche Bewegungen. Ihr Tipp für den Schriftstellernachwuchs, Herr Rohm? Viel lesen, viele Filme ansehen, viel auf dem Sofa liegen, gekonnt gähnen, den Müßiggang nicht beschreiten, denn das kostet Kraft, die man für seine Fantasiemuskeln benötigt, man kann sich Flügel bauen. Und sonst noch etwas? Nichts. Doch! Erschießen Sie Menschen, die meinen Ihnen erklären zu müssen, wie so ein Text gebaut wird. Nicht wirklich natürlich. Rohm grinst. Schreiben Sie einfach darüber. Der Zeitungsmann nickt. Der Zeitungsmann versteht. Der Zeitungsmann sagt, es wäre Zeit. Für was denn? Ende. Schluss. Samstag erscheint der Artikel über Ihren Roman. Hab doch noch gar nichts gesagt. Aber, aber, Herr Rohm. Der Zeitungsmann zeigt auf sein Ohr. Das blutet schon, sagt er. In Redaktionsräumen zerplatzen die Worte. Die Erinnerung wird torpediert. Rohm ist sich gewiss, nichts gesagt zu haben. Besten Dank. Man schüttelt ihm die Hand. Er steht in der Winterkälte. Bibbert. Die Wolken verstecken sich in der Dunkelheit. Er schleicht über den Bürgersteig. Er bleibt stehen. Er fasst sich an den Kopf. Die Angst durchfährt ihn. Welche Angst denn? Es könne ihn gar nicht geben, er könne nur eine Comicfigur sein. Rohm nimmt Anlauf. Ein alter Mann beobachtet ihn aufmerksam. Rohm spurtet in die Nacht hinein. Er spürt den Bildrand. Er stößt sich wagemutig ab. Er springt ins nächste Bild. Tatsächlich. Das Leben ist nur ein Comic. Er sitzt an seiner Tastatur und schreibt über sich. Jetzt ist er Remus. Ich wusste es. Seine Augen fallen ihm aus dem Kopf. Nicht weiter schlimm. Er liest sie auf. Stopft sie in die Höhlen zurück. Aus den Höhlen kamt ihr. In die Höhlen sollt ihr. Rohm hetzt von Wortstein zu Wortstein. Er überquert den Fluss seiner Gedanken.

Der Mensch in seinem Labyrinth

Herr Remus muss die Leser dieses Blogromans entdeckt haben. Vielleicht verschluckte sich einer von ihnen an einer Fischgräte. Wir fahren mit dem Finger (Brummbrummbrumm) rasch über die Zeilen, können aber nichts über Fische oder Gräten finden. Es könnte auch ein (durch eine Erkältung hervorgerufener) Hustenreiz gewesen sein. Die Tage werden allmählich kälter. Da müssen die Leser Sorge und einen Mantel um sich tragen, denn wir können hier niemanden entbehren.

Vor allem nicht Herrn Remus, der es nun weiß, dem es nun eine Gewissheit ist: Ich werde von Lesern beobachtet!

Das ist keine einfache Situation für ihn. Drum hockt er hinter einem der Sessel im Wohnzimmer und will nicht mehr in Erscheinung treten. Sein Gesicht, auch wenn Sie es nicht mehr erblicken können, ist rot. (Sie müssen meiner Erzählung hier einfach vertrauen.) Er schämt sich, dabei gibt es dafür überhaupt keinen Grund. Intimitäten aus dem Leben des Herrn Remus wurden hier (bisher) ausgespart. Zumindest hoffe ich das. Man wird mit den Jahren allmählich vergesslich.

Wir könnten ihn rufen. Alle gemeinsam.

„Herr Remus!“

Keine Reaktion. Ein zäher Bursche. Wir sollten einen flehentlichen Ton an den Tag legen.

Da ist er ja. Haben Sie ihn gesehen? Geschwind wie ein Burghornmännchen. Diese Geschmeidigkeit der Glieder hätten wir Herrn Remus gar nicht zugetraut. Er muss heimlich trainiert haben. Außerhalb dieser Romanzeilen. (Dabei dürfte es für ihn gar keine Welt ohne mich geben.)

Lassen Sie uns das Dach abheben, denn erst dann haben wir den besten Überblick. Das ist lustig. Sie und ich können uns ein Grinsen nicht verkneifen, erinnert die Ansicht doch nun an das Labyrinth für eine Maus.

Wir könnten Wetten abschließen. Wird Herr Remus, nervös wie er ist, den Ausgang finden? Wie lange wird er dafür benötigen?

Sie und ich tragen nun lange Ärztekittel.

Herr Remus schnuppert momentan aufgeregt am Fernseher, jetzt tippelt er am Wohnzimmerschrank entlang, drückt seinen Körper geschickt aus der Tür, schlüpft in die Gästetoilette. Das wirft ihn zurück. Das ist schade.

Herr Remus muss, wie es scheint, koten. Wir blenden uns deshalb aus.

Wir summen eine Melodie, die uns bekannt vorkommt, die aber niemand von uns zuordnen kann. Ein leichter Blick zur Seite. Geht doch. Herr Remus hat sein Geschäft beendet.

Und weiter geht es!

Aber was macht er denn jetzt? Er bleibt stehen, hebt den Kopf; Herr Remus hat uns entdeckt. Peinlich, peinlich, eine solche Situation. Rasch bedecken wir das Dach und ziehen uns zurück. Wir sollten der Romangestalt eine Verschnaufpause gönnen. Die haben es nicht einfach, diese armen Kreaturen. Jeder kann sie mit seinen Blicken einsaugen, vertilgen, verdauen, besprechen und bei Amazon bewerten. So sollte man eigentlich mit Fiktionen nicht umgehen. Trotzdem geschieht es tagtäglich. Da ist etwas faul im Staat, und ich meine damit nicht nur Dänemark.

Wir könnten einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen. Sie könnten mir von etwas über sich und Ihr Leben erzählen. Sie dort drüben zum Beispiel könnten eine Erklärung abgeben, warum Sie unter ihrer Lederjacke eine Waffe mit Schalldämpfer tragen. Gefällt mir gar nicht. Solche Gäste mag ich nicht.

Vorsicht! Sie müssen pusten, denn der Kaffee ist noch sehr heiß.

Lehnen wir uns zurück und schweigen wir. Gemeinsames Schweigen ist eine hohe Kunst.

Ist hier erst wieder Ruhe eingekehrt, dann kann es auch im Roman wieder lärmen. Herr Remus muss sich beruhigen. Er muss das Gefühl haben, ganz und gar Herr seiner Lage zu sein.

Das denken Sie doch auch, oder?

Na, dann werden Sie mal lieber rasch einen Blick nach oben.